Zumindest metaphorisch – als mathematische Tatsachenbehauptung würde diese Überschrift eher nicht durchgehen …
Worum geht’s? Nun, meine allererste Kamera, ein Konfirmationsgeschenk meines Patenonkels, war eine Kleinbildkamera Canon AF35M mit fester 38mm-Brennweite – was einem Bildwinkel über die Diagonale von rund 60° entspricht. Wie ich im Lauf der Jahrzehnte immer wieder merkte, ist der für viele Zwecke ideal: Er erfasst ein bisschen mehr Weite als das typische 50er Normalobjektiv (Bildwinkel ca. 47°), was an der Küste oder in den Bergen oft nützlich ist, aber ist dabei noch nicht so weitwinklig, dass es bei Portraits schon zu Knollennasen kommt. Und so gab es zwar Zeiten, da hätte ich das 50er (bzw. 55er Makro) als meine Lieblingsbrennweite genannt, aber inzwischen komme ich, wenn ich nur ein Objektiv dabeihaben möchte, meist doch wieder auf – je nach Kameratyp – 35 bis 40 mm zurück.
Und etwa 35 Jahre nach der Canon schließt sich jetzt der Kreis:
Für mein inzwischen wichtigstes Kamerasystem – im „kleinen Großformat“ 9x12cm – habe ich durch Zufall ein 127mm-Objektiv gefunden. Und bei einem Umrechnungsfaktor von 3,3 entspricht das im wirksamen Bildwinkel nahezu exakt dem 38er beim Kleinbildformat, es ist also quasi mein Fachkamera-Idealobjektiv.
Von diesem Objektiv – einem Enna München Ennit 127mm 1:4,7 – wusste ich vorher gar nicht, dass es überhaupt existiert. Und weil auch das große Internet wenig über diese Optik zu sagen weiß, stelle ich das gute Stück hier mal ausführlicher vor.
Zum optischen Aufbau kann ich nichts Verbindliches sagen, da ich es bisher nicht zerlegt habe (und das vorerst auch nicht vorhabe). Da Ennit allerdings in historischen Büchern (etwa diesem) in einem Kontext mit Tessar, Ektar, Xenar genannt wird, gehe ich davon aus, dass es ein Vierlinser des Tessar-Typs ist.
Meins ist in einen noch wunderbar gleichmäßig laufenden Synchro-Compur-Verschluss eingebaut, der mit Graflex beschriftet ist. Letzteres hat mir zuerst Sorge gemacht, denn diese Bezeichnung und die metrisch unrunde Brennweite, fünf Zoll, ließen mich vermuten, dass die Optik womöglich nur für das amerikanische 3×4-Zoll-Format gerechnet sei. Dem ist glücklicherweise nicht so, vielmehr ist der nutzbare Bildkreis groß genug, um bei 9×12 bzw. 4×5 Zoll im Fernbereich zumindest ein paar Zentimeter Verstellweg nutzen zu können (im Nahbereich ist das logischerweise sowieso kein Problem):
Die für ein GF-Objektiv relativ große Offenblende sorgt, sobald man sich seinem Motiv auch nur auf ein paar Meter nähert, für einen ziemlich engen Schärfentiefe-Bereich (kein Wunder: 4,7 entspricht auf KB bezogen einer Lichtstärke von 1,4). Und das Bokeh der Optik ist zwar nicht ganz so duftig wie bei einem Summilux, aber trotzdem sind die Unschärfebereiche erfreulich weich:
Der einzige Makel des kleinen Juwels ist, dass es weder vorn noch hinten ein Filtergewinde hat; da aber meine Schwarzweißfotografie zwingend Farbfilter zur Kontraststeuerung erfordert, habe ich mit meiner Allzweckwaffe Fotoknete rückwärtig eine 52-mm-Filterfassung montiert.
Ist natürlich umständlicher in der Handhabung, dafür aber weniger reflexionsempfindlich als ein Filtergewinde vorn. So ausgestattet, wiegt das Objektiv samt Linhof-kompatibler Platine exakt 200 Gramm, und selbst mit Front- und Rückdeckel bleibt es unter 4 Zentimeter Höhe. In Großformat-Kategorien darf das als ultraportabel, geradezu hosentaschentauglich gelten 🙂