Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, irgendwann 2012, hatte Artur Dieckhoff das Erwerbsleben als Schriftsetzermeister und Berufsschullehrer schon hinter sich. Aber Ruhestand kennt einer wie Artur nicht; deshalb war er damals Ehrenamtlicher in der grafischen Abteilung des Museums der Arbeit und vermittelte in der offenen Werkstatt die Grundlagen von Handsatz und Buchdruck. Und eines Montagabends kam ich, frisch Selbstständiger, dorthin, um eine Visitenkarte zu setzen für meine Unternehmung namens „Feingedrucktes“ – nahezu zwangsläufig war das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft …
Unglaublich viel durfte ich von ihm lernen in den paar Jahren seither; es blieb nicht bei den Winkelhaken-Basics, sondern in seiner eigenen Werkstatt auf dem Land hab’ ich sogar mal eine Tabelle aus Messinglinien berechnen und setzen müssen, nein: dürfen. Auf dem Weg zur Typomania, zu der er mich zwei Mal mitnahm, fragte er mich die traditionellen Schriftgrößen-Bezeichnungen ab wie zuletzt in den Achtzigern mein Lateinlehrer die Vokabeln. Und viele Bücher haben wir zusammen gemacht, mehr als ein Dutzend, dazu einige Kartenspiele; Gedichtbände zumeist, oder auch fantastisch-Autobiografisches wie seine Ruhrpott-Erinnerungen „Lebe wild und gefaehrlich!“ Immer charakterisiert von Arturs überbordender Kreativität, der wunderbar kindlichen Experimentierfreude und auf der illustrativen Ebene von seinem prägnanten Holzschnitt-Strich und den plakativen Farben – Bunt war seine Lieblingsfarbe.
Seine zeichnerischen Sujets waren Tiere, besonders Fabelwesen, und immer wieder Nixen, Nymphen, Teufelinnen. Bei letzteren hab’ ich bei Layout und Bildbearbeitung öfters mal rote Ohren riskiert, denn auch in der Darstellung von Erotik ging es bei Artur plakativ zu. Dass wir allerdings eines seiner Tarot-Decks nicht bei der darauf spezialisierten Onlinedruckerei in Asien bestellen konnten, weil das als „Pornografie“ nicht ausfuhrfähig sei, ging sogar mir altem Puritaner zu weit – pffft, bei Artur war das nicht Pornografie, sondern Verehrung der Weiblichkeit.
Ja, und Essen! Für seinen geliebten Matjes konnte er mich nie begeistern, und über Pfannkuchen haben wir zwar mal ein Buch gemacht (unser letztes gemeinsames), aber sie nie zusammen gebacken. Doch Franzbrötchen, die waren unser Ritual, über die Jahre haben wir nahezu alle Bäckereien Altonas durchprobiert und dabei über Freud und Leid des Vater- bzw. Großvaterseins philosophiert. Und wenn bei mir daheim das Telefon während des Essens klingelte (egal wann, bei uns wird zu den unterschiedlichsten Tageszeiten gekocht), dann sagten seit Jahren schon alle, ohne aufs Display zu schauen, „Hallo, Artur“ – es konnte nur er sein, beim Essen war es immer er.
Jetzt nicht mehr – die Franzbrötchen-Session im Oktober war unsere letzte. Sein Appetit war da schon nicht mehr ausgeprägt, und auch sonst gab es reichlich Grund, sich Sorgen zu machen, über Abschied nachzudenken. Es dauerte dann noch bis weit in den November und muss nach allem, was ich höre, eine Quälerei gewesen sein. Dabei hätte einer wie Artur es verdient gehabt, den letzten Bogen der Auflage aus der Andruckpresse zu nehmen, sich dann in den Sessel zu setzen und einfach nicht mehr aufzustehen. Aber vor allem noch nicht mit Zweiundsiebzig …
Danke für alles, Artur. Ahoi.
<3
😔
Mit hohem Interesse gelesen!
Wie traurig und wie schade.