Wenn man mit Jahrzehnte alten Kameras fotografiert, wird man früher oder später mit Unregelmäßigkeiten in der Verschlusszeit-Steuerung konfrontiert werden – ob Zentral- oder Schlitzverschluss, die Genauigkeit der eingestellten Zeiten lässt dann zu wünschen übrig. Und selbst mit Schwarzweißfilm ist es nicht egal, ob eine Dreißigstel Sekunde in Wirklichkeit eine Achtel ist oder (schlimmer) umgekehrt.
Solche Sachen lassen sich zwar in der Regel reparieren, aber wenn man es nicht selbst kann (und ich schaue mir solche Sachen zwar in der Regel von innen an, aber Verschlüsse überfordern mich meist), dann wird es schnell sehr teuer. Und für die wenigsten historischen Knipsmaschinen sind mehrere hundert Euro Reparaturkosten gerechtfertigt, leider.
Aber solange sich der Verschluss noch in der B-Stellung öffnen lässt, kann man die Kamera noch sinnvoll verwenden. Und zwar bei jedem Licht – mit starken Graufiltern (auch ND-Filter für Neutraldichte genannt). Interessant sind solche ab logarithmischer Dichte 2,0, das entspricht einer nötigen Belichtungszeitverlängerung um Faktor 100: Wo ohne Filter 1/30 fällig wäre, müssen es dann 3 Sekunden sein (bzw. 6 bis 8 oder noch mehr, je nach Film, unter Berücksichtigung des Schwarzschild-Effekts).
Auf dem zweiten Bild sieht man auch meine Notizen zum Schwarzschild-Effekt (gültig für meinen Standardfilm Fomapan 100). Die Tabelle sieht auf den ersten Blick merkwürdig aus:
rechnerisch 1 Sekunde -> Belichtung zwei Sekunden oder 1 Blende öffnen
rechnerisch 10 Sekunden -> Belichtung 50 Sekunden oder 2 Blenden öffnen
rechnerisch 100 Sekunden -> Belichtung 1200 Sekunden oder 3 Blenden öffnen
Die Diskrepanz (drei Blenden öffnen entspricht Faktor 8, nicht 12) ergibt sich daraus, dass bei weiterer Verlängerung der Belichtungszeit der Schwarzschild-Effekt noch stärker wird, das ist also eine Art Zinseszins-Kompensation.
*** Einschub, August 2019: An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass die Sensoren von Digitalkameras keinen Schwarzschild-Effekt kennen; es kommt also unabhängig von den Lichtverhältnissen und der eingestellten Empfindlichkeit immer derselbe Verlängerungsfaktor des Filters zum Tragen. Auch mit der Digitalen sollte man diesen Faktor allerdings einmal genau ermitteln – siehe dazu den hübschen Quicktest bei Matthias Haltenhof. ***
Übrigens gibt es, wenn man nur mit Schwarzweißfilm arbeitet und es um eher große Objektive geht, noch eine sehr preisgünstige Alternative zum ND-Filter: Schutzglas für Schweißerbrillen! Das wird in unterschiedlichen DIN-Klassen angeboten, ich habe eins in DIN13, was sich in *ungefähr* 13 Blenden oder Verlängerungsfaktor 10.000 übersetzt (eher noch etwas mehr). Darauf habe ich einen Filteradapterring mit 82mm Außengewinde geklebt, um das Glas direkt auf dem Weitwinkel der Großformatkamera benutzen zu können.
Aus all dem wird klar: Schnappschüsse klappen so nicht mehr. Aber mit Stativ und Drahtauslöser (oder notfalls Pappe davor – Pappe weg) kann man so auch mit der klapprigsten Kamera immer noch fotografieren. Und Bewegungsunschärfe in Laub, Wasser oder bei Passanten im Bild gibt so einem Foto immer noch etwas Patina extra – schließlich brauchten Urgroßvaters Glasplatten auch solche Belichtungszeiten …