Kenne deine Lettern

So gut bestückt wie der Hans-Hergot-Thurm ist meine heimische Setzgasse nicht. Aber ein bisschen was findet sich schon in derzeit knapp vier Dutzend großen und kleinen Schubladen. Für eine erste Übersicht habe ich gerade zwei A4-Bögen mit Schriftmuster-Zeilen gedruckt:

Dem aufmerksamen Betrachter fällt etliches auf:

Erstens sind die angegebenen Schriftgrößen mit Vorsicht zu genießen, die Verhältnisse sind augenscheinlich nicht immer passend. Die Punkt-Angaben habe ich meist von der Schubladenbeschriftung übernommen, manchmal auch mit dem Typometer nachgemessen und mich dabei an der vollen Schrifthöhe orientiert. Die Norm scheint da aber zu variieren – zählt die volle Höhe oder nur die Versalhöhe ohne Unterlängen?

Zweitens ist die altdeutsche Schrift wahrscheinlich eine Schwabacher, das hätte aber nicht in die Zeile gepasst. Die habe ich ziemlich unsortiert in mehreren unbeschrifteten Schubladen übernommen und dort zuerst kein & gefunden (hinterher aber doch), und außerdem habe ich das falsche s genommen – bei Frakturschriften ist im sch nun mal das lange s vorgesehen.

Drittens hat die herzallerliebst elfengleiche Schreibschrift sicherlich auch einen Namen, aber den kenne ich nicht. Eine handschriftliche Notiz lässt sich mit Wagemut als Bonheur interpretieren, das konnte ich bislang aber nicht verifizieren. Sachdienliche Hinweise sind herzlich willkommen!

Und meine Bestände an Berthold-Grotesk sind nicht nur teils lückenhaft, sondern auch heftig verfischt – siehe das zweite kleine e in der schmalfetten 16 oder die && in der mageren 20. Es lässt sich nicht leugnen, dass „Letter tauschen, neu ausdrucken“ am Rechner schneller geht, zumal wenn der Satz schon wieder abgelegt ist …

Zumindest habe ich jetzt einen Überblick, was der Schrank hergibt, und meine Fantasie sagt mir: Damit geht schon einiges! Ideen habe ich genug, fehlt nur noch genug Freizeit 🙂

Typomania!

Bereits seit 1987 findet im Hans-Hergot-Thurm zu Uelzen jährlich ein Arbeitstreffen der Handpressendrucker statt. In diesem Jahr hat mein inoffizieller Lehrmeister Artur mich erstmals dorthin mitgeschnackt, und es war ein wunderbares Erlebnis, vier Tage lang mit so vielen talentierten Handwerkern und Künstlern an einem gemeinsamen Thema zu arbeiten.

Meinem Beitrag zur Mappe „Ware Mensch“ sieht man für mein Empfinden zwar recht deutlich an, dass ich aus der Gebrauchsgrafik komme und nicht aus der freien Kunst; dennoch bin ich mit diesem Erstling (noch nie zuvor hatte ich solch ein großes Format in so hoher Auflage gedruckt) leidlich zufrieden, vor allem weil durch das Handeinfärben der Holzlettern und anschließende manuelle Nachbehandeln mit Tüchern und Pinsel jedes Blatt ein Unikat geworden ist. Wer die Chance hat, mal eine Typomania-Mappe durchzublättern, sollte sie unbedingt nutzen – da wird altes Handwerk quicklebendig.

Da ich zwar ziemlich viel fotografiert, aber keinerlei Model Releases erfragt habe, beschränke ich mich bei den folgenden Impressionen auf meine eigene Arbeit. Für das Foto von mir beim Signieren danke! an Diana Wichmann.

 

Learning By Failure

Stimmt einerseits: Nur durch Fehler wird man klug. Andererseits ist es wirklich ein relativ bescheuerter Fehler, wenn man in einem Vier-Buchstaben-Wort noch einen Zeichendreher unterbringt:


Noch ärgerlicher, weil aufwendiger zu korrigieren, war es allerdings, als ich es neulich erst nach der zweiten Zeile merkte, dass ich ganz in Gedanken sknil hcan sthcer nov gesetzt hatte (leider oder zum Glück nicht im Bild dokumentiert).

Einen sehr klassischen Lapsus habe ich mir heute geleistet, als ich für einen Zweifarbdruck den Durchschuss für den zweiten Block nachmessen wollte, tatsächlich aber den Grundlinien-Abstand ausgemessen habe. Eigentlich sollte dies hier nämlich

nur noch der Korrekturabzug für die Bestimmung des horizontalen Standes des zweiten, kleineren Textes sein, aber da waren dann nochmals je 28p Abstand rauszunehmen … Der gute Mr. Beckett hatte da wohl recht – try again, fail again, fail better. Trifft auch und vor allem auf Leute zu, die diesen Spruch dekorativ setzen wollen 🙂

Das Ergebnis ist aber letztlich ganz schön geworden. Find ich:

Holz und Blei, so weit das Auge reicht

So eine Garagendruckwerkstatt fällt ja nicht fertig eingerichtet vom Himmel – da findet man hier mal ein Teilchen, da mal zwei, manchmal (mit Glück und Kollegen-Hilfe) auch eine ganze Lieferwagenladung voll Material; dann muss alles gesichtet und in eine handhabbare Ordnung gebracht werden, und zwischendurch muss man natürlich auch mal ausprobieren, was sich damit schon so machen lässt:

Als besonders meditativ hat es sich übrigens erwiesen, mehrere schwere Kisten mit historischem Linotype-Stehsatz durchzuflöhen und das darin enthaltene Blindmaterial zu sortieren (Bilder 3 bis 9). Den eigentlichen Zeilenguss, gut einen halben Zentner alles in allem, habe ich hinterher dann zum Einschmelzen und Wiederverwerten ins Museum der Arbeit geschleppt – ich bin einfach nicht davon ausgegangen, dass ich in absehbarer Zeit häufiger „Kartoffeln, festkochend“ zu drucken habe.

Hacker-Slang im Bleisatz

h4ndw3rk.de – was soll das denn sein? Nun, ich beantworte das mit einer Gegenfrage: Haben es nicht auch manche Texte von digital natives verdient, im klassischen Buchdruck verewigt zu werden, statt bloß in binären Wolkenwelten zu diffundieren?

Diese Grundidee einer Edition h4ndw3rk trage ich schon geraume Zeit mit mir herum, doch seit mir im Dezember 2014 Johanna, meine erste Andruckpresse,

zugelaufen ist, beginnt sie sich zu konkretisieren. Darum soll es hier gehen.