Es ist schon faszinierend, welche Auswahl an Foto­chemi­kalien es immer noch gibt. Zwar sind einige der Klassiker aus dem späten 20. Jahrhundert aus den (Onlineshop-)Regalen verschwunden, aber viele sind immer noch zu bekommen, und manchmal kommen sogar neue Präparate auf den Markt.

Man hat also nach wie vor die Möglich­keit, mit geeigneten Film­entwicklern und angepassten Prozessen die Kontraste zu steigern oder abzu­schwächen, besonders fein­körnig oder maximal empfindlichkeits­ausnutzend zu arbeiten und dies und jenes mehr. Blöd dabei ist nur, dass man dann womöglich ein halbes Dutzend ange­brochene Flaschen im Labor stehen hat, und wenn man nicht häufig und mit hohem Durchsatz entwickelt, wird die oft teure Chemie unbrauchbar, bevor man ihre Kapa­zität ausnutzen konnte.

Weshalb ich mich inzwischen auf einen Basis-Prozess „einge­schossen“ habe, den ich nach Bedarf modi­fiziere und der so gutmütig ist, dass er mit den meisten meiner üblichen Filme funktio­niert – von den niedrigsten bis zu den höchsten Empfind­lich­keiten. Und zwar verwende ich den klassischen Einmal-Entwickler Rodinal (vormals Agfa, heute in derselben Rezeptur als R09 oder Adonal zu finden) in starker Verdünnung bei langen Entwicklungs­zeiten und kaum Bewegung.

Für die meisten Zwecke setze ich den Rodinal in 1:100 an, also 5ml auf einen halben Liter Wasser. Nachdem ich die Dose ca. eine Minute lang gleichmäßig gekippt habe, lasse ich sie stehen und kippe nur noch einmal alle 15 bis 20 Minuten (sog. Semi-Stand­entwicklung). Je nach Film beläuft sich die Entwicklungs­zeit dann auf eine bis zwei Stunden (Faustregel: höhere Empfind­lichkeit braucht mehr Zeit). Auf diese Weise lässt sich ein APX 100 genauso verar­beiten wie ein Delta 3200 und (fast) alles dazwischen; vor allem meine aktuellen Standard­filme Fomapan 100 und 200 werden auf diese Weise recht ordent­lich.

Mit dieser Methode bekomme ich vermutlich weder die schärfest­möglichen noch die tonwert­reichsten Negative unter der Sonne, aber ich habe nur eine Sorte Entwickler* offen, der sich zudem in seiner konzen­trierten Form besonders lange hält: Auch wenn er von frischem Rosa längst ins dunkle Braun gekippt ist, arbeitet er noch einwand­frei.

Der für mich größte Vorteil liegt aber darin, dass ich nicht auf die Stopp­uhr achten muss, sondern mehr nach Bauch­gefühl entwickeln kann: Über die Gesamt­zeit des Prozesses wirkt sich eine Minute plus/minus weniger stark aufs Ergebnis aus als zehn Sekunden bei der klassisch-kurzen Kipp­entwicklung. Dadurch kann ich mich auch zwischen­durch gedank­lich mit anderen Dingen beschäf­tigen, was mir oft gelegen kommt. Oder wenn ich weiß, dieser Film ist einen Tick knapper belichtet, dann muss ich nicht neun-zehn-zählen, sondern dann wird die Entwick­lungs­zeit um eine Runde Darts verlän­gert …

Mag sein, dass ich auf diese Weise nie zu wirklich reprodu­zierbaren Ergeb­nissen oder opti­malen Maximal­dichten komme, aber das finde ich für meine Zwecke nicht tragisch. Schließ­lich sind schon genug Variable im Spiel – ange­fangen damit, dass all meine histo­rischen Kameras mit Sicher­heit nicht mehr die gleich­mäßigsten Verschluss­zeiten haben. Entschei­dend ist für mich, dass vergrößerungs­fähige Negative heraus­kommen – und dass ich Spaß bei der Sache habe 🙂

*plus den Hochkontrast-Entwickler für Strich­filme, aber das ist eine andere Bau­stelle

Lob des Ungefähren

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