Makellos

Eine neue Postkarte ist im Werden:

Am Anfang war ein M, gefunden in der Sammlung einer Kollegin. Eine wunderschöne Holzletter, etwas angenagt, die mich sofort auf eine Idee brachte. Danke, Marlis, fürs Ausleihen!

Nachdem das M aus HKS 43 und etwas Deckweiß zu Papier gebracht war, kam der Rest des Wortes aus Silberdruckfarbe, getönt mit einer Winzigkeit Reichbleichgoldpaste. Die ersten 20 Stück habe ich aus der Signal gesetzt,

aber weil ich mir Skript-Type schnell übersehe, bin ich für den größeren Teil der Auflage auf Permanent Grotesk umgeschwenkt.

Und kurz bevor alles verdruckt war, fiel mir ein, dass ich ja eigentlich auch mal probieren könnte, so einen Druck per Video aufzuzeichnen. Hier ist der beste Versuch – so ungeschickt stelle ich mich nicht immer an, nur wenn die Kamera zuguckt …

Unboxing Bleilettern

Frisch gegossene Lettern sieht man nicht mehr allzu häufig – meines Wissens gibt es heute außer Gerstenberg in Frankfurt gar keine noch prakti­zierende kommer­zielle Schrift­gießerei mehr in Deutschland. Allerdings habe ich in einer meiner Setzgassen noch ein paar Päckchen kleinerer Lettern vom VEB Typoart Dresden gefunden, unter anderem ein Minimum halbfette Super Buchgrotesk in 12p:

Die Schrift von Arno Drescher aus den 1930er Jahren gilt als die meist verwendete Schriftart der DDR. Ich mag sie ganz gern, sie ist klar und schnörkel­los. Schöne Ligaturen sind dabei, die wichtigen Sonder­zeichen sind komplett – damit lässt sich arbeiten. Auch im real buchsta­bierenden Sozialismus ist übrigens das kleine e mit Abstand am häufigsten vertreten – Logisch, allein in DDR sind ja schon fünf drin …
Da ich noch eine Schublade frei hatte, habe ich die Buch­grotesk jetzt ausgepackt und in Betrieb genommen. Und zwischendurch immer mal geknipst – ist ja auch was fürs Auge, so ein frisches Sortiment:

CAB

… steht hier spaßeshalber für Computer Aided Bleisetzing – was man heute halt so tut, wenn man eine unbeschriftete Schublade mit einer 20p-Antiqua in der Setzgasse hat, die man an keiner der „üblichen Verdächtigen“ sicher erkennt:

Dann geht man z.B. zu identifont und klickt sich in einem guten Dutzend Fragen durch die Charakteristika. Manchmal (wenn man z.B. irgendwelche 20er-Jahre-Bastardschnitte oder DDR-Bestände hat) findet man nichts, meist findet man eine Auswahl aus zwei oder drei Möglichkeiten, und wenn man Glück hat – so wie hier –, dann ist die Schriftart nach wenigen Minuten eindeutig als Fournier identifiziert – eine charmante Alternative zur Bodoni, mit der ich sie am Anfang fast verwechselt hätte, aber vor allem die Proportionen sind doch deutlich andere.

Schubladen­denken


…ist im Handsatz nicht nur nicht verpönt, sondern eine durchaus sinnvolle Sache. Übers weitgehend sauwettrige Wochenende habe ich just begonnen, die Bestände meiner Setzgasse zu katalog- und kategorisieren. Meine neue Systematik ist typografiegeschichtlich mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss, aber für meine Zwecke allemal ausreichend:

Formsatz

Im vorigen Eintrag mag der einen oder anderen Leserin ein formgesetzter Text aufgefallen sein. Das ist William Shakespeares wohl bekanntestes Sonett, Numero 18, Shall I compare thee to a summer’s day?, und das habe ich in eben dieser dekorativen Form aus der 12p Garamond (frischer Monotype-Guss) gesetzt, um ein adäquates Goldhochzeits- bzw. Geburtstagsgeschenk zu haben:

Gedruckt ist das Herzchen auf Aspero Natural 400g von Geese Papier, und zum Verschenken habe ich es noch auf mehrere Lagen roten Kartons kaschiert und dann „schwebend“ in einem schlichten weißen Rahmen montiert. Damit sich die Mühe des Setzens lohnte, habe ich natürlich nicht nur zwei, sondern insgesamt 55 Exemplare (plus ein paar Stück Ausschuss) gedruckt, von denen, wie bei mir üblich, durch das Handeinfärben der Druckform usw. keine zwei Exemplare exakt identisch aussehen.

Bloß ein Klischee

… aber ein besonderes insofern, als es mein erstes Probe-Klischee ist, das ich selbst mit UV-Belichter, Lithfilm und Nyloprint-Platte erstellt habe.


Denn auch mit noch so vielen Bleilettern-Sätzen gibt es immer noch Dinge, die sich nicht aus der Schublade realisieren lassen, und alles kann und mag man ja auch nicht in Holz schneiden. Wer ein Design aus dem Rechner drucken will, der macht das heute ja per CtP, Computer-to-Plate, aber das ist für eine Ein-Personen-Manufaktur weder finanziell noch ideell akzeptabel.

Deshalb ist der Umweg über die Filmbelichtung einer Druckvorlage nebst chemischer Entwicklung nötig, und anschließend wird dieses Filmnegativ auf eine lichtempfindliche Polymerplatte umkopiert, wo die belichteten Partien aushärten.
Die kann man dann baden, um die unbelichteten Bereiche auszuwaschen – ein besonderes Vergnügen für Leute, die auf intensiv duftenden rosa Schaum abfahren –

und anschließend hat man ein Relief der Positivform, die man nur noch mit geeignetem Unterlegmaterial auf Schrifthöhe bringen muss, um davon drucken zu können.

Keine Frage: In diesem Prozess ist für mich noch Luft nach oben, bis die Ergebnisse standfest und konturenscharf sind, aber schon das Experimentieren macht eine Menge Spaß – es fühlt sich ganz ähnlich an wie damals in den Achtzigern meine ersten Versuche im Fotolabor. Und die Technik mag zwar nicht state-of-the-art sein, sie dürfte jedoch eine Menge kreativ nutzbares Potenzial haben.

Kenne deine Lettern

So gut bestückt wie der Hans-Hergot-Thurm ist meine heimische Setzgasse nicht. Aber ein bisschen was findet sich schon in derzeit knapp vier Dutzend großen und kleinen Schubladen. Für eine erste Übersicht habe ich gerade zwei A4-Bögen mit Schriftmuster-Zeilen gedruckt:

Dem aufmerksamen Betrachter fällt etliches auf:

Erstens sind die angegebenen Schriftgrößen mit Vorsicht zu genießen, die Verhältnisse sind augenscheinlich nicht immer passend. Die Punkt-Angaben habe ich meist von der Schubladenbeschriftung übernommen, manchmal auch mit dem Typometer nachgemessen und mich dabei an der vollen Schrifthöhe orientiert. Die Norm scheint da aber zu variieren – zählt die volle Höhe oder nur die Versalhöhe ohne Unterlängen?

Zweitens ist die altdeutsche Schrift wahrscheinlich eine Schwabacher, das hätte aber nicht in die Zeile gepasst. Die habe ich ziemlich unsortiert in mehreren unbeschrifteten Schubladen übernommen und dort zuerst kein & gefunden (hinterher aber doch), und außerdem habe ich das falsche s genommen – bei Frakturschriften ist im sch nun mal das lange s vorgesehen.

Drittens hat die herzallerliebst elfengleiche Schreibschrift sicherlich auch einen Namen, aber den kenne ich nicht. Eine handschriftliche Notiz lässt sich mit Wagemut als Bonheur interpretieren, das konnte ich bislang aber nicht verifizieren. Sachdienliche Hinweise sind herzlich willkommen!

Und meine Bestände an Berthold-Grotesk sind nicht nur teils lückenhaft, sondern auch heftig verfischt – siehe das zweite kleine e in der schmalfetten 16 oder die && in der mageren 20. Es lässt sich nicht leugnen, dass „Letter tauschen, neu ausdrucken“ am Rechner schneller geht, zumal wenn der Satz schon wieder abgelegt ist …

Zumindest habe ich jetzt einen Überblick, was der Schrank hergibt, und meine Fantasie sagt mir: Damit geht schon einiges! Ideen habe ich genug, fehlt nur noch genug Freizeit 🙂