Artur, 1948–2020

Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, irgendwann 2012, hatte Artur Dieckhoff das Erwerbs­leben als Schrift­setzer­meister und Berufs­schul­lehrer schon hinter sich. Aber Ruhestand kennt einer wie Artur nicht; deshalb war er damals Ehren­amtlicher in der grafischen Abteilung des Museums der Arbeit und vermit­telte in der offenen Werk­statt die Grund­lagen von Handsatz und Buchdruck. Und eines Montag­abends kam ich, frisch Selbst­ständiger, dorthin, um eine Visiten­karte zu setzen für meine Unter­nehmung namens „Fein­gedrucktes“ – nahezu zwangs­läufig war das der Beginn einer wunder­baren Freundschaft …

Unglaublich viel durfte ich von ihm lernen in den paar Jahren seither; es blieb nicht bei den Winkel­haken-Basics, sondern in seiner eigenen Werk­statt auf dem Land hab’ ich sogar mal eine Tabelle aus Messing­linien berechnen und setzen müssen, nein: dürfen. Auf dem Weg zur Typomania, zu der er mich zwei Mal mitnahm, fragte er mich die tradi­tionellen Schrift­größen-Bezeichnungen ab wie zuletzt in den Achtzigern mein Latein­lehrer die Vokabeln. Und viele Bücher haben wir zusammen gemacht, mehr als ein Dutzend, dazu einige Karten­spiele; Gedicht­bände zumeist, oder auch fantastisch-Autobio­grafisches wie seine Ruhrpott-Erinnerungen „Lebe wild und gefaehrlich!“ Immer charak­terisiert von Arturs über­bordender Krea­tivität, der wunderbar kind­lichen Experimentier­freude und auf der illustrativen Ebene von seinem prägnanten Holzschnitt-Strich und den plaka­tiven Farben – Bunt war seine Lieblingsfarbe.

Seine zeichne­rischen Sujets waren Tiere, besonders Fabel­wesen, und immer wieder Nixen, Nymphen, Teufe­linnen. Bei letzteren hab’ ich bei Layout und Bild­bearbeitung öfters mal rote Ohren riskiert, denn auch in der Darstellung von Erotik ging es bei Artur plakativ zu. Dass wir aller­dings eines seiner Tarot-Decks nicht bei der darauf speziali­sierten Online­druckerei in Asien bestellen konnten, weil das als „Porno­grafie“ nicht ausfuhr­fähig sei, ging sogar mir altem Puritaner zu weit – pffft, bei Artur war das nicht Porno­grafie, sondern Verehrung der Weiblichkeit.

Ja, und Essen! Für seinen geliebten Matjes konnte er mich nie begeistern, und über Pfann­kuchen haben wir zwar mal ein Buch gemacht (unser letztes gemein­sames), aber sie nie zusammen gebacken. Doch Franz­brötchen, die waren unser Ritual, über die Jahre haben wir nahezu alle Bäckereien Altonas durch­probiert und dabei über Freud und Leid des Vater- bzw. Großvater­seins philo­sophiert. Und wenn bei mir daheim das Telefon während des Essens klingelte (egal wann, bei uns wird zu den unter­schied­lichsten Tageszeiten gekocht), dann sagten seit Jahren schon alle, ohne aufs Display zu schauen, „Hallo, Artur“ – es konnte nur er sein, beim Essen war es immer er.

Jetzt nicht mehr – die Franz­brötchen-Session im Oktober war unsere letzte. Sein Appetit war da schon nicht mehr ausgeprägt, und auch sonst gab es reichlich Grund, sich Sorgen zu machen, über Abschied nach­zudenken. Es dauerte dann noch bis weit in den November und muss nach allem, was ich höre, eine Quälerei gewesen sein. Dabei hätte einer wie Artur es verdient gehabt, den letzten Bogen der Auflage aus der Andruck­presse zu nehmen, sich dann in den Sessel zu setzen und einfach nicht mehr aufzu­stehen. Aber vor allem noch nicht mit Zweiundsiebzig …

Danke für alles, Artur. Ahoi.

Arturs Hände beim Hozschnitt
Artur bei der Typomania 2015. – Hier stand zuerst ein Schwarzweiß-Foto, aber die Photoshop-Farbregler bis zum Anschlag zu schubsen würde ihm besser gefallen.

Siehe auch

Reale Relativität

Wer daran zweifelt, dass Zeit dehnbar ist, der sollte einmal einen Schwarz­weißfilm in der Schale entwickeln …

Normaler­weise habe ich ja meinen Standard­prozess für die Film­entwicklung, aber für die größeren Planfilme ab 5×7 Zoll war ich damit noch nicht recht glücklich. Denn anders als für 4×5 Zoll habe ich hier keine geeig­nete Spule und bin daher im Tages­lichttank auf die sog. Taco-Entwicklung angewiesen. (Die geht so: Planfilm aufrollen, Gummiring drum, rin in die große Dose, vier Stück passen neben­einander rein.) Weil aber auch Stand- und Semistand­entwicklung nicht ohne einiges Kippen auskommen, löst sich gelegentlich mal eine Taco-Rolle, und das Ergebnis sind üble Kratzer bis hin zur Unbenutzbarkeit. Da ich gerade zwei Dutzend 5x7er zu entwickeln hatte, habe ich jetzt was anderes probiert: Einzelblatt-Entwicklung* in der Schale.

Weil nun aber Schwarzweiß­filme (zumindest die panchro­matischen, also alle „normalen“) anders als Fotopapier übers ganze Spektrum empfindlich sind, muss der gesamte Prozess vom Entnehmen aus der Kassette bis mindestens zum Fixierbad in absoluter Dunkel­heit stattfinden.

Man platziert also alles, was man braucht, griff­bereit, klemmt sich einen Timer, dessen Funktionen man blind steuern kann, an die Schürze, befüllt die Schalen vom Vorwässern bis zum Fixierer (der Entwickler sollte für diesen Zweck natürlich kein One-Shot wie Rodinal sein – ich habe hier einen etwas stärker verdünnten Papierentwickler verwendet), legt die (vorne möglichst weichen) Zangen an immer dieselbe Stelle der Wannen und lernt auswendig, wie viele Schritte in welche Richtung es vom Arbeitstisch bis zum Wasserhahn sind, denn es wird nicht ausbleiben, dass öfters mal gründliches Hände­waschen angezeigt ist … Dann Licht aus und Nerven bewahren!

Auf diese Weise habe ich heute in einem Rutsch ein Dutzend Planfilme ohne nennens­werte Panne entwickelt (aber: siehe unten) – dafür war ich andert­halb Stunden lang im absoluten Dunkel, es hat sich allerdings angefühlt wie ein halber Tag. Dieselbe Zeitspanne auf die Internet-Recherche nach geeigneten Planfilm-Entwicklungs­methoden verwendet verstreicht gefühlter­maßen vier oder fünf Mal so schnell …

Aufnahmen mit der Holzkamera am Brodtener Ufer, in der Schale entwickelt. Keine Ahnung, woher dieser helle Schleier kommt …

Nachtrag, als auch das zweite Dutzend Filme entwickelt ist: Auch die Schale hat ihre Tücken. Ich habe insgesamt weniger Kratzer als mit der Taco-Methode, aber dafür vereinzelt schlierige Unregel­mäßigkeiten bei der Entwicklung. Nach ersten Recherchen tippe ich auf unzurei­chende Bewegung, obwohl ich genau darauf schon sorgfältig geachtet hatte. Nächstes Mal also beherzt Überschwappen riskieren – oder doch wieder wickeln zum Entwickeln …?

In dieser Form wohl kaum brauchbar – am ehesten noch für eine Cyanotypie auf raues Papier, aber sicher nicht für eine direkte Vergrößerung.

* man liest auch manchmal Anleitungen, in denen mehrere Blatt Film auf einmal in die Entwicklerschale kommen. Aber das ist mir unsympathisch – erstens kann man sich dann mit den Entwicklungszeiten leichter vertüdeln und zweitens steigt wieder das Kratzerrisiko.

Mehr Bilder aus dieser Aufnahmereihe gibt es hier.

Learning By Failure

Stimmt einerseits: Nur durch Fehler wird man klug. Andererseits ist es wirklich ein relativ bescheuerter Fehler, wenn man in einem Vier-Buchstaben-Wort noch einen Zeichendreher unterbringt:


Noch ärgerlicher, weil aufwendiger zu korrigieren, war es allerdings, als ich es neulich erst nach der zweiten Zeile merkte, dass ich ganz in Gedanken sknil hcan sthcer nov gesetzt hatte (leider oder zum Glück nicht im Bild dokumentiert).

Einen sehr klassischen Lapsus habe ich mir heute geleistet, als ich für einen Zweifarbdruck den Durchschuss für den zweiten Block nachmessen wollte, tatsächlich aber den Grundlinien-Abstand ausgemessen habe. Eigentlich sollte dies hier nämlich

nur noch der Korrekturabzug für die Bestimmung des horizontalen Standes des zweiten, kleineren Textes sein, aber da waren dann nochmals je 28p Abstand rauszunehmen … Der gute Mr. Beckett hatte da wohl recht – try again, fail again, fail better. Trifft auch und vor allem auf Leute zu, die diesen Spruch dekorativ setzen wollen 🙂

Das Ergebnis ist aber letztlich ganz schön geworden. Find ich:

Bücher machen.

Die Idee, Bücher zu machen, habe ich schon lange: zehn Jahre, eher mehr. Natürlich habe ich in dieser Zeit auch schon Bücher gestaltet – für mich selbst, später auch für Kunden –, aber produziert habe ich nicht selbst, sondern das blieb stets Print-on-Demand-Dienstleistern überlassen. Blurb, Epubli, Frick, BoD, Saal – ausprobiert habe ich viele und vieles, und allmählich habe ich zumindest eine Ahnung davon, zu wem ich jeweils gehen muss, um abhängig von Qualitätsanspruch und Budget ein bestimmtes Resultat zu erzielen.

Aber in den Grenzbereichen ist die Erkenntnis immer dieselbe: Wenn ich keine Kompromisse eingehen möchte – wenn alles genau so aussehen soll, wie ich es mir vorstelle –, dann muss ich meine Bücher selbst machen.

Das war jahrelang außer Reichweite, aber mit der Entscheidung für die berufliche Selbstständigkeit haben sich ein paar Rahmenbedingungen geändert und Prioritäten verschoben. In einem Ein-Mann-Unternehmen ist es anders als in einem Großverlag nämlich unabdingbar, dass sich alle Mitarbeiter möglichst umfassend mit der Herstellungskette des eigenen Produkts auskennen 🙂 Dazu gehört in meinem Fall das Wissen um alle für mich relevanten Druck- und Verarbeitungstechniken; und indem ich mir dieses Wissen Schritt für Schritt aneigne, eröffnen sich immer mehr Perspektiven, neue Ideen und auch die Möglichkeiten, sie zu realisieren.

Worauf das Ganze letztlich hinauslaufen wird, ist dabei noch unklar. Wenig deutet darauf hin, dass handwerkliche Buchproduktion eine lukrative Geschäftsidee sein könnte; zunächst einmal geht es mir nur darum, mein allzu digitallastiges Portfolio in eine sympathischere Richtung zu erweitern. Alles Weitere ergibt sich …